Katharina Faber | Fremde Signale
Die herausragenden Bücher von Katharina Faber MÜSSEN einfach besprochen werden. Gabriele Köstler-Kull hat “Fremde Signale” für Sie gelesen!
„Fremde Signale“ ist so etwas wie das Poesiealbum dreier Engel. Die aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte umspannt drei kürzere und eine längere Lebensgeschichte in einer Zeitspanne von etwas mehr als zwei Jahrhunderten. Linette Grandchance, Michail Sledin und Boris Tomba sind in jungen Jahren gestorben und müssen als gute Schutzgeister auf das Leben eines sorglosen, reichen Mädchens in der wohlbehüteten Schweiz aufpassen.
Die Lebensläufe der vier schicksalhaft Verbundenen könnten nicht unterschiedlicher sein. Michail starb als siebzehnjähriger russischer Soldat 1942 im Gefecht gegen deutsche Truppen. Linette, eine südfranzösische Bauerntochter, erlag 1786 als Sechzehnjährige einer Hirnhautentzündung. Boris starb mit dreizehn an Krebs als Sohn italienischer Einwanderer in New York. Alle drei haben eindrückliche Lebensgeschichten, die sie nach und nach preisgeben. Abwägend und erzählend vergleichen die drei Schutzengel ihr Los mit demjenigen ihres Schützlings Ali – alias Katharina, die ein sorgloses, verträumtes und etwas weltfremdes Leben führt. Es steht nicht fest, ob es das Verdienst der Schutzengel ist, dass ihr Schützling vor Unfällen und grösseren Dummheiten gefeit bleibt. Auf jeden Fall steht dieses Leben in krassem Gegensatz zum Unglück der Toten.
Katharina Faber erzählt in diesem Buch die Geschichte ihres eigenen Lebens – aus der Sicht ihrer Schutzengel. Getrieben von einer unbändigen Neugier lebt Katharina das Leben einer rastlosen, kleinen Träumerin, einer jungen Globetrotterin mit verschrobenen Idealen bis hin zu einer gereiften Frau, die gelernt hat, Signale aus dem Jenseits zu deuten. Es sind die Signale von Linette, Michail und Boris, die mit ihrer Bodenhaftung und Geschichtlichkeit der Biografie von Katharina Gewicht verleihen. Sie lässt den Leser viel über das Leben der Verstorbenen erfahren – drei Leben, die Faber vielleicht gerne miterlebt hätte. Das wäre nicht in diesem Mass nötig gewesen, wenn die Autorin es gewagt hätte, über die Gewichtigkeit des eigenen Schicksals zu schreiben.
Dieses Buch hat Katharina Faber nicht für die Welt geschrieben. Sie hat es für sich selber – allenfalls für Freunde und Familie geschrieben. Wer ihre Biografie nicht kennt, wird sich fragen, welche Rolle Ali oder eben die Katharina in diesem Roman spielt. Ali wirkt als Figur unvollständig. Ihr Innenleben wird kaum ausgeleuchtet und ganze Lebensphasen werden übergangen oder nur punktiert. Es ist, wie wenn die Autorin ihre eigene Biografie als lächerlich empfände – gegenüber den harten Schicksalen ihrer Engel. So werden es jedenfalls die Leser empfinden, die das Leben der Katharina Faber nicht kennen. Auch diejenigen, die es kennen, kommen sich am Ende des Romans vor, als stünden sie vor einer wertvollen chinesischen Vase, aus der ganze Stücke herausgebrochen worden sind.
Alle – ob Kenner oder Nicht-Kenner der Biografie der Autorin – werden nach der Lektüre nach mehr verlangen. Aber die Autorin wird da womöglich allen einen Strich durch die Rechnung machen. Denn das, was sie in ihrem autobiografischen Roman von sich Preis gibt, ist das exakte Maximum, das sie von sich preisgeben will. „Fremde Signale“ ist im noch jungen und schmalen Werk der Katharina Faber ein bezeichnendes Buch, ein wichtiges Buch, obwohl es die genannten Mängel aufweist. Es zieht eine klare Trennlinie zwischen Privatperson und Autorin.
Die kommenden Veröffentlichungen, werden mit Bestimmtheit weniger autobiografisch ausfallen. Dieses Thema scheint für Katharina Faber abgehakt zu sein. Wir dürfen uns freuen auf ganz Neues von dieser reifen Schriftstellerin, die es wie keine Zweite versteht, sprachlich brilliant, Stimmungen heraufzubeschwören und menschliche Dekadenz nonchalant und gnadenlos zu entlarven.
© Gabriele Köstler-Kull
» Kulturzeit hat mit dem Literaturkritiker Hubert Winkels über den Roman gesprochen