Gottfried Keller-Preis 2016 | Pietro De Marchi
Pietro De Marchi, der in Zürich lebende italienische Dichter, hat den Gottfried Keller-Preis der Martin Bodmer-Stiftung 2016 gewonnen. Ausgezeichnet wurde sein Gedichtband «La carta delle arance». Das welsche Autorenkollektiv AJAR erhielt eine Ehrengabe.
Italienischer Dichter – ein halbes Leben in Zürich
Der Gottfried Keller-Preis 2016 geht an den italienischen, in Zürich lebenden Dichter, Erzähler und Literaturwissenschaftler Pietro De Marchi für seinen Gedichtband «La carta delle arance», soeben erschienen bei den Edizioni Casagrande. Das Luftig-Weite seiner Lyrik, die Abstecher in die Tiefen der eigenen und der universellen Geschichten seiner Erzählprosa, die grosse Gabe zuzuhören, von der seine Essays zeugen – all diese Instrumente, die De Marchi in seinen vorangegangenen Publikationen zunehmend verfeinert hat, geraten hier in Resonanz und bilden zusammen eine reife, klare und zugleich klangvolle Stimme. Sie ist leicht, sie hebt von der Erde ab und will in die Höhe fliegen. Auch als spielerisch könnte man sie bezeichnen, doch ist es ein Spiel mit dem Feuer – mit den Irrlichtern der Verstorbenen, mit Stahl und Feuer der Geschichte, mit der Wärme des Lebens.
Kollektives Schreiben
Für den gemeinschaftlich verfassten Roman «Vivre près des tilleuls» erhält AJAR (Association de jeunes auteur(e)s romandes et romands) eine Ehrengabe. Das welsche Autorenkollektiv wurde 2012 von zwölf jungen Schriftstellerinnen ins Leben gerufen. Am Anfang stand die Idee im Raum, gemeinsam einen Roman in einer Nacht zu schreiben. Zunächst wurde mit Esther Montandon (1923–1998) eine Autorin erfunden und mit einer Biografie versehen. Schliesslich suchte sich AJAR ein möglichst weit von der eigenen Realität entferntes Thema aus: die Geschichte vom Verlust eines Kindes, angesiedelt in den 1960er-Jahren, als noch kein Mitglied des Kollektivs auf der Welt war. Man setzte sich das Ziel, die durchlässigen Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu erkunden. So hat sich aus einem scherzhaften Gedanken eine Liebeserklärung an die Literatur entwickelt. Das Kollektiv tritt mit leserischen Performances auf und steht für einen interdisziplinären literarischen Ansatz, der durchaus die Westschweizer Literaturszene neu aufmischen könnte.