Kino | Les herbes folles
Die Sehnsucht spaltet den Asphalt wie das Unkraut: dies ist eine verrückte Geschichte über einen gestandenen Mann, der die verheissungsvolle Brieftasche einer Frau findet und beginnt zu träumen.
Synopsis: Marguerite (Sabine Azéma) wird nach erfolgreichem Schuhkauf die Tasche gestohlen. Der Pensionär Georges Palet (André Dussollier) findet ihre Brieftasche in einem nahe liegenden Parkhaus; von da an ist seine Fantasie entfesselt und er erträumt sich diese Frau, die einen Pilotschein besitzt und in einer Zahnarztpraxis arbeitet. Schliesslich gibt er die Brieftasche bei der Polizei ab; doch er hört nicht auf, an diese Frau zu denken. Er wünscht ein Treffen. Marguerite lehnt ab. Als sie sich dennoch begegnen, gerät alles aus dem Lot, und die Sehnsucht siegt über die reale Welt. Stars: Die beiden Hauptakteure haben schon mehrmals für Resnais gemeinsam vor der Kamera gestanden, so zum Beispiel in «On connaît la chanson» (1997) und sie bilden ein ungleiches Paar. Regie & Crew: Der Altmeister besonderer Geschichten, Alain Resnais («Hiroshima, mon amour» 1959), besticht in diesem Film mit einer verrückten Geschichte über menschliche Sehnsüchte.
art-tv-Wertung: Geführt von einer Erzählstimme taucht der Zuschauer bald in die aberwitzige Geschichte ein. Dabei wird man vom faszinierenden und zugleich irritierenden Erzählstil gefesselt: dieser gleicht einem wiederholt abdriftenden Gedankengang, der sich gerne widerspricht. Genauso sind auch die Figuren konzipiert. Beide Protagonisten sind zwar verantwortungsvolle Erwachsene, doch in ihrem Innern schwelt ein unstillbares Verlangen nach Chaos und Anarchie. So sehr sie auch versuchen, sich an ihr vernünftiges Ich zu halten, so treibt sie diese Sehnsucht zu irrationalen Taten. Diese Zwanghaftigkeit wird durch die filmische Ästhetik und durch ein Spiel mit den Erwartungshaltungen des Zuschauers erfahrbar gemacht. So ist zum Beispiel das Gesicht von Marguerite lange nicht sichtbar und wir sehen nur ihren roten Haarschopf. Das regt automatisch die Fantasie an: Wie sieht diese Frau wohl aus? So verrückt diese Geschichte, so verspielt der Filmstil, so surreal das Ende! Fazit: Dieser Film ist eine überraschende Reise für alle, die sich und ihre eigene Erwartungshaltung gerne hinterfragen und die an spielerischen Erzählweisen Gefallen finden.
Isabel Rohr