CH-Kino | Face au juge
- Publiziert am 30. September 2010
Erstmals durfte in der Schweiz ein Filmteam einem Untersuchungsrichter bei der Einvernahme von Angeklagten zuschauen.
Synopsis: Die sprichwörtlichen «usual suspects» des Gerichtsfilms sind spektakuläre Gesetzesbrecher vom Bankräuber bis zum Mörder. Die Delinquenten in «Face au juge» hingegen, die in einem nüchternen Büro einem stocknüchternen Untersuchungsrichter gegenüber sitzen, sind grossteils nicht einmal «kleine Fische»: ausgesteuerte Arbeitslose, verkrachte Eheleute, abgewiesene junge Verliebte. Auf ihren Gesichtern spielen sich die kleinen Komödien und grossen Tragödien des Lebens ab. Erstmals durfte in der Schweiz ein Filmteam einem Untersuchungsrichter bei der Einvernahme von Angeklagten zuschauen. Regie & Crew: Dem Westschweizer Regisseur Pierre-François Sauter ist ein spektakulär unspektakulärer Dokumentarfilm gelungen, der die Justiz als Brennspiegel gesellschaftlicher und privater Probleme zeigt.
art-tv-Wertung: Peu à peu arbeitet der Untersuchungsrichter Fall für Fall ab, um die neuen Erkenntnisse in seinem Computer festzuhalten. Karg ist sein Büro, mit dem Nerven am Ende seine Besucher. So wenig einladend dies zunächst scheinen mag, so sehr zieht dieser Film den Zuschauer bald in den Bann derer, die sich einem Richter gegenüber sehen, der genauso gelassen wie einfühlsam nicht nur Fälle sondern in erster Linie Menschen vor sich zu sehen scheint. Dem Zuschauer offenbaren sich die verschiedenen Geschichten der Angeklagten und Klagenden durch Antworten auf die vom Richter gestellten Fragen. Der Richter selbst wird einem nicht durch Fakten über ihn, sondern entlang seines Arbeitsablaufes sympathisch. Dass das Kamerateam in diesem Mikrokosmos, in dem sich Menschen ihrem Leben und Schicksal gegenüber verantworten müssen, derart unbemerkt bleibt, ist die grösste Leistung, die den Zuschauer in «Face au juge» schliesslich gänzlich eintauchen lässt . Fazit: Eine behutsame Dokumentation über Menschen am Rande der Gesellschaft, deren Geschichten man am liebsten über das Büro des Richters hinaus weiterverfolgen würde.
Isabel Bures